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Urteil Anwaltskommission (AG)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2014 82: -

Eine Anwältin wird beschuldigt, gegen die Berufsregel zu verstossen, indem sie im Rahmen eines Strafverfahrens sowohl die Tochter als auch die Mutter eines Anzeigers vertritt, was zu einem Interessenkonflikt führt. Das Bundesgericht definiert, dass ein verbotener Interessenkonflikt nur bei konkreten Differenzen zwischen Klienten besteht. Die Anwältin könnte in einem Fall, in dem sie die Mutter vertritt, Informationen erhalten, die eine Strafanzeige gegen die Mutter erforderlich machen könnten. Es wird festgestellt, dass ein konkreter Interessenkonflikt besteht, da die Anwältin sowohl die Mutter als auch die Tochter vertritt, was zu ethischen Problemen führt. Die Anwältin hätte sich des Konflikts bewusst sein müssen und hätte das Mandat niederlegen sollen.

Urteilsdetails des Kantongerichts AGVE 2014 82

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2014 82
Instanz:-
Abteilung:Anwaltskommission
- Entscheid AGVE 2014 82 vom 27.05.2014 (AG)
Datum:27.05.2014
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Archiv 2014 Anwaltsrecht 405 I. Anwaltsrecht 82 Art. 12 lit. c BGFA Interessenkollision. Ein verbotener Interessenkonflikt...
Schlagwörter : Interessen; Anwalt; Anwältin; Interessenkonflikt; Mutter; Mandat; Wahrung; Fellmann; Testa; Kommentar; Konflikt; Entscheid; Anzeiger; BGFA-Kommentar; Klienten; Mandats; Anwaltsrecht; Tochter; Verfahren; Abänderung; Scheidungsurteils; Verfahren; Interessenkollision; Entscheidungen; Anwaltskommission; Anzeigers; Treuepflicht; Personen
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
Fellmann, Marti, , Art. 12; Art. 13, 1992
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts AGVE 2014 82

2014 Anwaltsrecht 405

I. Anwaltsrecht
82 Art. 12 lit. c BGFA Interessenkollision. Ein verbotener Interessenkonflikt liegt dann vor, wenn eine Anwältin die Wahrung von Interessen einer Klientin übernom- men und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen sie sich poten- tiell in Konflikt zu eigenen anderen ihr zur Wahrung übertragenen Interessen begibt. Entscheid der Anwaltskommission vom 27. Mai 2014 (AVV.2013.46). Aus den Erwägungen
[...]
2.
2.1.
Der beanzeigten Anwältin wird vorgeworfen, sie habe die Be-
rufsregel von Art. 12 lit. c BGFA verletzt, indem sie im Rahmen
eines Strafverfahrens wegen sexuellen Handlungen die Tochter E des
Anzeigers sowie die Mutter von E, V, in einem Verfahren betreffend
Abänderung des Scheidungsurteils vertrete. Der Anzeiger führt aus,
dass die beanzeigte Anwältin nicht beide Interessen vertreten könne.
2.2.
Art. 12 lit. c BGFA auferlegt dem Anwalt kraft öffentlichen
Rechts eine besondere Treuepflicht. Er hat jeden Konflikt zwischen
den Interessen seiner Klientschaft und den Personen, mit denen er
geschäftlich privat in Beziehungen steht, zu meiden (Walter
Fellmann in: Walter Fellmann/Gaudenz G. Zindel [Hrsg.], Kommen-
tar zum Anwaltsgesetz, 2. Auflage, Zürich 2011, N 84 zu Art. 12 [zit.
Name, BGFA-Kommentar]). Nach Auffassung des Bundesgerichts
liegt allerdings nur dann eine unzulässige Interessenkollision vor,
wenn ein konkreter Interessenkonflikt besteht. Die blosse abstrakte
2014 Anwaltskommission 406

Möglichkeit, dass zwischen verschiedenen Klienten Differenzen auf-
treten könnten, genüge nicht (vgl. Fellmann, BGFA-Kommentar,
a.a.O., N 84b zu Art 12; Testa, a.a.O., S. 93 f.).
Ein verbotener Interessenkonflikt liegt dann vor, wenn der An-
walt die Wahrung von Interessen eines Klienten übernommen und
dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er sich potentiell in
Konflikt zu eigenen anderen ihm zur Wahrung übertragenen
Interessen begibt (Giovanni Andrea Testa, Die zivilund standes-
rechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten,
Zürich 2001, S. 93 [zit. Testa]). Wird während der Führung eines
Mandats ein verbotener Interessenkonflikt festgestellt, muss der An-
walt das Mandat unverzüglich niederlegen. In bestimmten Fällen
verbietet Art. 12 lit. c BGFA bereits die Mandatsübernahme. Das
Verbot widerstreitende Interessen zu vertreten, greift in diesen Fällen
bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses ein und geht damit in jedem
Fall weiter als die auftragsrechtliche Treuepflicht. Es gilt auch zu-
gunsten ehemaliger Klienten und sogar von Personen, deren Mandat
der Anwalt abgelehnt hat (Fellmann, BGFA-Kommentar, a.a.O.,
N 85 zu Art. 12; Testa, a.a.O., S. 99; Martin Sterchi, Kommentar zum
bernischen Fürsprechergesetz, Bern 1992, N 2 zu Art. 13). Wer sich
einem Anwalt anvertraut - und sei es nur im Rahmen einer
Mandatsanfrage, in der er ihm Einblick in den Fall gibt muss sich
darauf verlassen dürfen, dass dieser über alles Anvertraute schweigt
und die erhaltenen Kenntnisse niemals in irgendeiner Form gegen
ihn verwendet (vgl. Fellmann, BGFA-Kommentar, a.a.O., N 85 zu
Art 12; Testa, a.a.O., S. 93 f.).
[...]
3.3.2.
Es ist somit zu prüfen, ob die beanzeigte Anwältin durch die
Übernahme des zweiten Mandats, nämlich die Vertretung von V im
Verfahren betreffend Abänderung des Scheidungsurteils, bzw. Neu-
zuteilung der elterlichen Sorge, Entscheide zu treffen hat, mit denen
sie sich potentiell in Konflikt zu den ihr von E zur Wahrung über-
tragenen Interessen begeben hat. Wie oben dargelegt (Ziff. 2.3) müs-
sen konkrete Anhaltspunkte für einen Interessenkonflikt bestehen.
[...]
2014 Anwaltsrecht 407

Die Rolle einer Mutter ist in jedem Strafverfahren, welches ge-
gen ihren Partner wegen sexuellen Missbrauchs der Tochter geführt
wird, ein Thema (Einvernahme als Zeugin, Auskunftsperson, etc.).
Nicht auszuschliessen ist, dass die beanzeigte Anwältin von der E In-
formationen hinsichtlich des Verhaltens der Mutter anlässlich des an-
gezeigten Missbrauchs erhält, welche allenfalls sogar eine Strafan-
zeige gegen die Mutter (wegen Beihilfe o.ä.) nötig machen könnten.
Im Verfahren betreffend Abänderung des Scheidungsurteils vertritt
die beanzeigte Anwältin die Mutter und hat in diesem Zusammen-
hang gegen den Vorwurf, dass diese die Tochter vernachlässigt, res-
pektive nicht genügend vor den Übergriffen ihres Lebenspartners R
geschützt habe, vorzugehen. Diese Interessenlage führt aber dazu,
dass sie es dann im Strafverfahren notgedrungen unterlässt bzw. un-
terlassen muss, als Opfervertreterin und/oder als Vertreterin der Pri-
vatklägerin das Augenmerk auf eine allenfalls unrühmliche Rolle der
Mutter im Zusammenhang mit den Übergriffen auf E zu legen (z.B.
durch kritische Fragen, einen entsprechenden Beweisantrag auf Ein-
vernahme der Mutter durch Einreichen einer Strafanzeige gegen
diese). Damit liegt aber ein konkreter Interessenkonflikt vor. Dieser
konkrete Interessenkonflikt musste der beanzeigten Anwältin spätes-
tens ab Kenntnis vom Vorwurf des Anzeigers bewusst gewesen sein.
So warf der Anzeiger V vor, sie sei nicht imstande, sich ausreichend
um die Bedürfnisse der Kinder zu kümmern und habe Kenntnis
davon gehabt, dass R bereits ein Sexualdelikt begangen habe, die
Beziehung zu diesem aber nicht beendet habe.
Ob die beanzeigte Anwältin die Interessen ihrer Mandantinnen
schlussendlich genügend wahrgenommen hat, ist dabei nicht ent-
scheidend.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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